Kreativwirtschaft als Katalysator

Wie kann die Kreativwirtschaft zur gelingenden Transformation in Ostwestfalen-Lippe beitragen? Ich sehe vier Chancen, die sich aus der Besonderheit unserer Region ebenso ergeben wie aus den besonderen Herausforderungen unserer Zeit.

Eine steile These zum Einstieg: Die Kreativwirtschaft ist ein „weißer Schimmel“. Denn alles Wirtschaften ist kreativ – die Fähigkeit zum Vorstellen und Herstellen wird in allen Branchen gebraucht.

Trotzdem hilft es, die elf Teilmärkte der „Kultur- und Kreativwirtschaft“ gebündelt zu sehen: Die Arbeit an Musik, Büchern, Kunst, Film, Rundfunk, darstellenden Künsten, Architektur, Design, Presse, Werbung, Software und Spielen unterscheidet sich zwar im Detail.

Aber die Herangehensweisen ähneln sich und sind zugleich anders als in Maschinenbau, Chemie oder Finanzwirtschaft. Zumindest bisher, denn es gibt gute Gründe den Austausch zwischen den Branchen zu vertiefen.

VUCA und Vulkane

Warum gewinnen die US-Streitkräfte trotz massiver Überlegenheit keine Kriege mehr? Die Antwort der Strategen lautet „VUCA“ – „volatile, uncertain, complex, ambiguous“. Dinge ändern sich heute schnell, sind unsicher, komplex und mehrdeutig.

In der Wirtschaft erleben wir die Disruption ganzer Branchen, befördert von Globalisierung und Digitalisierung. Startups am anderen Ende der Welt gefährden Marktführer*innen, ein leises Brodeln kann jederzeit zum Vulkanausbruch werden. Amazon und der Einzelhandel, Airbnb und die Hotellerie, Tesla und die Autoindustrie, die Liste ließe sich fortsetzen.

Wo sich Produktlebenszyklen durch diese Entwicklungen verkürzen, wird Innovationsfähigkeit zum Schlüssel für den Erfolg. Technisch genial zu sein genügt nicht – es braucht marktreife, an echten Bedürfnissen ausgerichtete Produkte und Geschäftsmodelle.

Damit kennen Kreative sich aus. Am Beispiel Werbung: Niemand würde im stillen Kämmerlein Kampagnen entwickeln und verkaufen. Man schneidet sie gemeinsam mit den Auftraggeber*innen auf die Bedürfnisse der Zielgruppe zu. Man experimentiert, erprobt, verwirft und verbessert.

Mit einem Modebegriff: Kreative arbeiten agil. Sei es mit einer Mischung aus Improvisation und Koffein oder mit strukturierten Methoden wie „Scrum“ und „Design Thinking“.

Diese Arbeitsweise auch in traditionellen Unternehmen für Neues zu nutzen ist Chance Nr. 1: Wandel kreativ gestalten.

Standort und Stärken

Wie passt das ins bodenständige OWL? Die erfolgreichen Mittelständler*innen der Region zeigen: Auch mit landestypischer Unaufgeregtheit lässt sich dem Wandel konstruktiv begegnen. Dabei hilft eine florierende Kreativszene: Sie steigert die Lebensqualität für alle, zieht Menschen an und hält sie vor Ort. Und nützt so mittelbar auch anderen Branchen beim Wettbewerb um die besten Talente.

In der Arbeit mit meinen Coaching-Klient*innen erlebe ich immer wieder, welches erstaunliche Kreativpotenzial in der Region steckt. Nicht nur technologische Weltmarktführer*innen, auch viele Kulturkreative nutzen als „hidden champions“ das hiesige Biotop aus Naturnähe und niedrigen Kosten.

Schnelles Internet vorausgesetzt sind die Arbeitsbedingungen für sie nicht schlechter als in der Großstadt, die Lebensbedingungen oft deutlich besser. Der geplante Kreativ Campus Detmold wird diese Potenziale hoffentlich gebündelt sichtbar machen.

Darin liegt Chance Nr. 2: Besonderheiten kreativ nutzen.

Partnerschaft und Patenschaft

Planbarkeit, Stabilität, Sicherheit sind wichtig für traditionelle Unternehmen. Innovation ja, aber gründlich, mit einem Hang zum Perfektionismus: Hat das nicht jahrzehntelang Erfolg gebracht?

Dagegen ist die Kernkompetenz der Kreativen, mit dem Unbekannten umzugehen. Das kann anstrengend sein. Allerdings bietet die Irritation auch eine Reibungsfläche für den sprichwörtlichen kreativen Funken. Sie inspiriert zu dem, was jeder Innovationsprozess braucht: Respektlosigkeit gegenüber dem Status quo.

Zum Bild gehört auch: 47,9 % der lippischen Kultur- und Kreativunternehmen erzielen unter 50.000,- Euro Jahresumsatz. Das ruft nach Partnerschaften jenseits von Kultursponsoring:

Warum dieses Potenzial nicht unternehmerisch nutzen? Werbebudgets in der Region investieren statt in Metropolagenturen? Patenschaften mit Kulturschaffenden schließen, um neue Impulse in Unternehmen zu holen?

Das ist Chance Nr. 3: Netzwerke kreativ erweitern.

Neues und Nachhaltiges

Stellen wir uns OWL einmal vor, wenn alle drei Chancen genutzt werden: Firmen arbeiten mit agilen Wandel-Werkzeugen. Die Kreativszene ist sichtbar und selbstbewusst. Netzwerke und Partnerschaften sind ausgebaut. Schon daraus ergeben sich Beiträge zum finanziellen Erfolg von Unternehmen und Kulturkreativen und positive Wirkungen für die Region insgesamt.

Was noch fehlt ist eine Antwort auf sozial-ökologische Herausforderungen. Die UN-Nachhaltigkeitsziele fordern uns bis 2030 zu großen Veränderungen auf, teils im Widerspruch zur bisherigen Wirtschaftsweise.

Dies nicht als lästige Einschränkung, sondern als Innovations-Treiber zu begreifen, führt zu Chance Nr. 4: Wirtschaft kreativ weiterentwickeln.

Im IHK-Arbeitskreis „LippeKreativ“ engagieren wir uns dafür, diese und weitere Chancen zu nutzen. Informieren Sie sich gern hier auf der Website – und gestalten Sie mit!

Autor Christian Einsiedel arbeitet als Creative Change Consultant in Ostwestfalen-Lippe und online für Klient*innen von Landau bis London. Mit seiner Firma „Wegbereit“ unterstützt er kreative Unternehmer*innen dabei, sich persönlich zu entfalten und kreativ die Welt zu verbessern. Er engagiert sich zudem für Organisationsentwicklung und Nachhaltigkeits-Innovation mithilfe der Gemeinwohl-Ökonomie und ist im LippeKreativ-Kernteam aktiv.
Infos & Kontakt: www.wegbereit.com

Dieser Text ist ein Auszug aus dem IHK-Magazin Lippe Wissen & Wirtschaft vom Mai 2020.